Verschiebung der Alterspyramide:
Eine besondere Herausforderung für Orthopäden und Unfallchirurgen
Altersbedingte
Knochenbrüche und Gelenkverschleiß nehmen zu / Neue Operationstechniken reduzieren
Risiken und machen Senioren schneller wieder mobil
Jeder fünfte Deutsche ist heute älter
als 65 Jahre. In wenigen Jahren wird es jeder Dritte sein. Die Überalterung in
der Bundesrepublik verändert auch den Alltag in den deutschen Kliniken, vor
allem im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie. Heute behandeln wir immer
mehr Verschleißerkrankungen, die früher durch die geringere Lebenserwartung gar
nicht auftraten", sagt Professor Dr. Joachim Grifka, Direktor der orthopädischen
Universitätsklinik Bad Abbach.
Professor Dr.
Ulrich Stöckle, Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen (BG)
Unfallklinik Tübingen verweist auch auf die kontinuierlich steigende Zahl
altersbedingter Knochenbrüche. "Von einer halben Million häuslichen
Unfällen jährlich entfallen ca. 300.000 auf Osteoporose bedingte Knochenbrüche
bei älteren Menschen", so Stöckle. Das Thema Behandlung altersbedingter
Unfälle im Bewegungssystem ist deshalb auch eines der Schwerpunktthemen bei der
Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen (VSOU)
zwischen 28. und 30. April in Baden-Baden.
Ein Drittel der Menschen über 65 Jahre
stürzt laut Statistiken mindestens einmal pro Jahr. Etwa fünf Prozent dieser
Unfälle führen zu Brüchen oder anderen gravierenden Blessuren. Neben dem
Oberschenkelhals sind bei älteren Menschen oft die Wirbelsäule, das Becken, der
Oberarm, der Unterarm oder das Handgelenk von Frakturen betroffen. Bei einer
ausgeprägten Osteoporose kann es sogar zu 'Spontanfrakturen' bei banalen
Bewegungen ohne Sturz kommen. Für schnellstmögliche medizinische Behandlungen
nach solchen Verletzungen gibt es in Deutschland klare Vorgaben:
Verschraubungen an gebrochenen Knochen sollen innerhalb von 24 Stunden,
künstlicher Gelenkersatz spätestens 48 Stunden nach dem Bruch eingesetzt
werden.
"Ein Oberschenkelhalsbruch an sich
ist gut behandelbar. Das Risiko auch bei anderen altersbedingten
Gelenkerkrankungen liegt in der Immobilität der Patienten", so Professor
Stöckle. "Mit jedem Liegetag steigt das Risiko von Gesundheitsschäden.
Mobilisation ist deshalb das A und O bei Frakturen im Bewegungsapparat oder
auch bei verschleißbedingtem Einsatz eines neuen Gelenks bei älteren
Patienten", weiß Professor Grifka.
Besser ein neues Hüftgelenk als Langzeitpflege
"Heute operiert, morgen wieder auf
den Beinen, sei etwa nach dem Einsatz eines neuen Hüftgelenks auch bei älteren
Patienten realistisch", berichtet Professor Dr. Joachim Grifka aus dem
Klinikalltag. Ohne die in der Orthopädie und der Unfallchirurgie heute
eingesetzten neuen Operationsmethoden wäre das nachoperative Risiko von
Thrombosen und Lungenembolien oder Herz-Kreislaufprobleme aufgrund langer
Liegezeiten viel höher.
In Deutschland werden heute jährlich
210.000 Hüftprothesen und 170.000 Knieprothesen eingesetzt. Die meisten
aufgrund von altersbedingtem Verschleiß der eigenen Gelenke, der langfristig zu
massiven Bewegungseinschränkungen, zu Hilfsbedürftigkeit bis
Pflegebedürftigkeit führen kann. Überflüssig, aus ärztlicher und aus Patientensicht
nicht akzeptierbar sei deshalb die Diskussion darüber, bis zu welchem Alter der
Einsatz von Gelenkprothesen sinnvoll ist, sagt Professor Grifka. "Selbst
rein unter Kostenaspekten betrachtet kann der Einsatz eines neuen Hüftgelenks
und die so wiedergewonnene Beweglichkeit des Patienten langfristig die
Pflegeausgaben für die Versichertengemeinschaft sogar spürbar reduzieren. Aber
es geht natürlich um den einzelnen Menschen. Die Betroffenen sind mit einem
neuen Hüftgelenk wieder mobil, eigenständig und haben so eine bessere
Lebensqualität".
70-Jährige möchten fit sein wie früher
die 40-Jährigen
Eine weitere Herausforderung für
Orthopäden und Gelenkchirurgen: "Die Menschen mit 70 möchten heute so fit
sein wie früher 40-Jährige", so Professor Grifka. "Wir können keine
Wunder vollbringen. Aber die Fortschritte in der orthopädischen Chirurgie sind
enorm". So sind Patienten nach einem Gelenkaustausch mit minimalinvasiver
Operationstechnik in der Regel bereits direkt nach der Operation schmerzfrei. Sie
könnten bereits am ersten Tag nach dem Eingriff aufstehen und nach acht Tagen
gestützt durch Gehhilfen wieder Treppen steigen.
Möglich ist dies unter anderem durch
neue Methoden der Computernavigation bei der Operation, die den
Gelenkaustausch mit minimalinvasiven Operationstechniken, also mit nur
kleinsten Schnitten in der Haut möglich machen. Die neuen Techniken
garantierten auch präzise und optimale Funktion der künstlichen Gelenke bei
deutlich verlängerter Haltbarkeit, so Professor Stöckle.
"Seien wir uns bewusst: Vor 200
Jahren bedeutete ein Knochenbruch oft das Todesurteil. Noch vor 50
Jahren war es keineswegs selbstverständlich, durch orthopädische und
unfallchirurgische Operationen, z.B. mit neuen Gelenken und
Wirbelsäulenoperationen, Patienten wieder zu schmerzfreiem Bewegen und
Selbständigkeit zu verhelfen", sagt Professor Grifka. "Mit den neuen
Operations- und Behandlungsmethoden leisten Orthopäden und Unfallchirurgen
heute einen wesentlichen Beitrag dazu, dass die Menschen mobil bleiben - in
jedem Alter".
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Dieter Buck
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